Glosse: Geständnisse eines Meerrettich-Junkies
Ich gestehe. Ich bin Meerrettich-Junkie. Ich liebe diese Wurzel, die obwohl sie aus dem Boden kommt, doch eher direkt vom Himmel zu kommen scheint. Gar göttlich die Fähigkeit, aus langweiligen Saucen pikante Würzungen zu machen, den Schnupfen zumindest für die Dauer des Genusses vertreibend; und angeblich soll sie sogar noch gesund sein.
Im Gegensatz zu anderen Drogen wie Tabak und Knoblauch ist der Kree, wie er von gestandenen Franken genannt wird, gesellschaftlich nicht geächtet. Jedenfalls meistens. Zart besaitete Zeitgenossen sehen das durchaus auch einmal anders und schnappen nach Luft, wenn sie meine Fischsauce probieren. Schön, wenn man sich Gäste einlädt, die das nicht gewohnt sind. Nach kurzer Zeit sieht man immer fröhliche Gesichter. Das liegt daran, dass es so gut tut, wenn der Schmerz nachlässt.
Und komme mir keiner mit der Schärfe von Pfeffer oder Chili! Das ist billiges Zeug, nur erfunden um langweiligen Gerichten eine weitere langweilige Schärfe aufzupfropfen. Nein, kein Aroma kommt dem Meerrettich gleich.
Aus diesem Grund habe ich mir einen Sandhaufen angeschafft. Dort sind immer ein paar Wurzeln eingegraben. Nicht lachen. Das ist die beste Aufbewahrungsart für die Knollen. So bleiben sie schön feucht und dunkel. Bis jetzt habe ich sie auch alle wiedergefunden. Dumm nur, dass der Nachbar jetzt seit kurzem eine Katze hat. Die meinte, dem Meerrettich ein ganz besonderes Aroma hinzufügen zu müssen. Nachdem mir mein Kumpel in der anonymen Kreegruppe dringend davon abegeraten hat, die Katze deswegen an den Zaun zu nageln, steht jetzt eine Kiste Sand im Keller.
Es hat was. Es ist fast so, als ob man in den Weinkeller geht und eine exquisite Flasche holt. Ich habe tatsächlich noch eine Wurzel vom Traumjahrgang 1993 im Keller - bin mir aber nicht sicher, ob sie schon genügend gereift ist.
Vor kurzem geriet mein Weltbild ins Wanken. Einer meiner entfernteren Bekannten - er wohnt 50 km entfernt in der Großstadt - hat mich dort zum Besuch in einer Sushi-Bar eingeladen. Dort gab es köstlich schmeckenden Fisch. Wunderbare Schärfe. Ich hatte sofort den Verdacht, dass es sich um Meerrettich handeln müsse. Nein, sagte er, das ist Wasabi, ein japanisches Gewürz. Ich war bestürzt. Nicht nur, dass sie kleinere Radios bauen und offenbar extrem strapazierfähige Kameras bauen können, damit hatte man sich ja schon abgefunden. Aber dass sie jetzt in die heilige Domäne der Küchenkunst mit dieser Vehemenz einbrechen, das war zu viel. Doch ich konnte mich schnell beruhigen. Wasabi ist tatsächlich nichts anderes als grüner Meerrettich, nur die japanische Variante. So ist meine Welt wieder in Ordnung.
Ein Kapitel für sich ist der Besuch einer Gaststätte.
Hier kann man fast nur Enttäuschungen erleben. Ich esse fast nie Meerrettich in Gaststätten. Doch kann man immer wieder Überraschungen erleben. In einem der finstersten Dörfer der fränkischen Schweiz, dessen Namen ich hier bewusst verschweigen möchte, kam ein verhutzelt aussehendendes Mütterchen - das wohl einem Kreeweiblein früherer Zeiten nicht unähnlich war - auf uns zu und bot uns ihr Kreefleisch feil. Ich fasste mir ein Herz und bestellte es. Das Fleisch selbst war schwer definierbar, ein vager Rindergeschmack neben dem Fett war durchaus schmeckbar. Doch der Kree war vom allerfeinsten! Nicht nur scharf, nein, auch deutlich der Nussgeschmack des frischen Meerrettich war vorhanden.
Nein, die Zukunft ist nicht völlig schlecht. Gerade in letzter Zeit sind viele wieder qualitätsbewusster geworden. Ich bin guter Hoffnung.
Und heute abend gibts frische Blutwurst mit Meerretich zum Bamberger Rauchbier.
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